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Abschaffung des Eigenmietwerts führt laut Experten zu mehr Schwarzarbeit

Entfällt der Steuerabzug für Renovationskosten, sinkt das Interesse an sauberen Rechnungen. Dadurch wächst die Schattenwirtschaft gemäss einer Schätzung um eine halbe Milliarde Franken.
22.01.2025 Politik
  • Lassen sich die Kosten für Sanierungen nicht mehr von den Steuern abziehen, dürfte es vermehrt zu «Nachbarschaftshilfen» kommen.

    Lassen sich die Kosten für Sanierungen nicht mehr von den Steuern abziehen, dürfte es vermehrt zu «Nachbarschaftshilfen» kommen.

Kurz vor Weihnachten ist dem Parlament der Durchbruch gelungen: Nach jahrelangem Hin und Her haben sich National- und Ständerat zu einem Systemwechsel durchgerungen. Demnach müssen Hausbesitzer künftig keinen Eigenmietwert mehr versteuern. Diese fiktive Miete für das eigene Heim soll entfallen. Im Gegenzug sollen die Wohneigentümer aber auch Unterhaltskosten und Schuldzinsen nicht mehr von den Steuern abziehen dürfen.

Bevor diese Reform in Kraft treten kann, braucht sie noch das Ja von Volk und Ständen. Denn das Parlament will den Systemwechsel mit einer neuen Sondersteuer für Zweitwohnungen koppeln. Und diese bedarf einer Verfassungsänderung. Der Urnengang findet voraussichtlich noch in diesem Jahr statt.

Im Abstimmungskampf dürfte auch die Schattenwirtschaft zu reden geben. Jener Teil der Wirtschaft also, der im Verdeckten stattfindet und dessen Geldflüsse nicht versteuert werden. Mit dem Systemwechsel würden die Anreize für Schwarzarbeit erhöht, sagt Marius Brülhart, Wirtschaftsprofessor und Steuerexperte an der Universität Lausanne. Das stehe «ausser Zweifel».

Wenn die Handwerker auf Barzahlung drängen

Heute haben die Hausbesitzer ein Interesse an sauberen Abrechnungen. Nur so können sie die Unterhaltskosten belegen und von den Steuern abziehen. Dies ist wohl mit ein Grund, weshalb die Schwarzarbeit in der Schweiz deutlich weniger verbreitet ist als in den Nachbarländern. Der internationale Schattenwirtschaftsexperte Friedrich Schneider schätzt sie hierzulande auf rund 6 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). In Frankreich und Deutschland liegt dieser Wert laut dem emeritierten Professor der Uni Linz etwa doppelt so hoch, in Italien gar dreimal so hoch.

Es drängt sich also die Frage auf, was geschieht, wenn die Unterhaltskosten auch in der Schweiz nicht mehr von den Steuern abgezogen werden dürfen. Für Brülhart ist klar: «Wenn der Hausbesitzer materiell nichts mehr zu gewinnen hat durch den Erhalt einer sauberen Rechnung, der Handwerker jedoch Steuern und Sozialabgaben sparen kann, indem er keine saubere Rechnung stellt, dann sind die ökonomischen Anreize klar.»

Brülhart kennt diese Mechanismen auch aus eigener Erfahrung. Denn er ist selbst Hausbesitzer. Als solcher müsse er «regelmässig darauf insistieren, dass ich Reparaturarbeiten nicht in bar und ohne Rechnung begleichen will». Bestehe man nicht darauf, sei der Preis üblicherweise vorteilhafter, so Brülhart.

450 bis 650 Millionen Franken mehr für Schwarzarbeit

Durch den Systemwechsel dürfte es also zu mehr Barzahlungen unter der Hand kommen. Auch die «Nachbarschaftshilfen» werden wohl zunehmen. Dabei werden Handwerkerarbeiten durch Bekannte erledigt, wofür man sich informell erkenntlich zeigt oder Gegenrecht hält.

Solche Effekte halte er für «sehr plausibel», sagt Friedrich Schneider, der seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der Schattenwirtschaft forscht. Diese dürfte in der Schweiz aufgrund der wegfallenden Steuerabzüge jährlich um 450 bis 650 Millionen Franken pro Jahr zunehmen, so Schneiders grobe Schätzung.

Auch danach liege der Anteil der Schwarzarbeit in der Schweiz immer noch deutlich unter jenem der Nachbarländer. Schneider führt dies auf die vergleichsweise tiefe Steuer- und Abgabenlast in der Schweiz zurück. Dadurch ist der Anreiz zu mogeln geringer als anderswo.

Bei Schätzung der Steuerausfälle nicht berücksichtigt

Je mehr Geld jedoch verdeckt fliesst, desto höher sind die Ausfälle bei den Gewinn-, Einkommens- und Mehrwertsteuern. Auch die Sozialabgaben fallen geringer aus, wenn der Anteil an Schwarzarbeit steigt. Wie gross dieser Effekt beim nun geplanten Systemwechsel ist, hat die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) nicht berechnet.

Solche «Verhaltensanpassungen» habe man bei der Schätzung der Steuerausfälle nicht berücksichtigt, sagt ESTV-Sprecher Patrick Teuscher. Statt einer solchen – mit unsicheren Annahmen verbundenen – dynamischen Schätzung habe man eine statische Schätzung durchgeführt. Sie kommt bei einem durchschnittlichen Hypozins von 1,5 Prozent auf Steuerausfälle von jährlich 1,7 Milliarden Franken – wovon rund 400 Millionen beim Bund und der Rest bei den Kantonen anfallen dürften.

Diese Ausfälle entstehen, weil der wegfallende Eigenmietwert stärker zu Buche schlägt als die gestrichenen Steuerabzüge für Schuldzinsen und Unterhaltskosten. Das ist insbesondere bei tiefen Zinsen der Fall.

Zusätzliche Ausfälle aufgrund der Verschiebung von Wertschöpfung in die Schattenwirtschaft kommen noch oben drauf.

Warnung vor Flaute in Baubranche

Die Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren hat bereits vor Jahren auf die Gefahr von zunehmender Schwarzarbeit hingewiesen. Gleichzeitig warnte sie davor, dass der Systemwechsel ein Hüst und Hott in der Baubranche auslösen könne.

In den letzten Jahren vor dem Wechsel sei nämlich «damit zu rechnen, dass Renovationen und Sanierungen vorgeholt werden, um noch von der steuerlichen Abzugsfähigkeit profitieren zu können». Ganz anders in den ersten Jahren nach dem Systemwechsel. Dann erwartet die Finanzdirektorenkonferenz einen Rückgang in der Bauwirtschaft, weil viele Wohneigentümer ihr Heim bereits kurz vor Torschluss renoviert haben.

Ein solches Hüst und Hott befürchtet auch Suissetec, der Verband der Gebäudetechnikbranche. Erst müsse man mit Engpässen bei Fachkräften und Material rechnen, danach mit einer «Abkühlung», so Sprecher Christian Brogli.

Aufgrund der wegfallenden Steuerabzüge rechnet die Bauwirtschaft auch längerfristig mit einem Rückgang an Aufträgen im Sanierungsbereich. Dann werde man eher zuwarten mit einem neuen Anstrich oder der Renovation des Badezimmers – bis diese zwingend notwendig seien, so Silvia Fleury, Direktorin des Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verbands. Auch energetische Sanierungen sieht Suissetec beim Wegfall von Steuerabzügen gefährdet.

Im Abstimmungskampf ist daher mit Widerstand aus der Baubranche zu rechnen. Ob sich auch die kantonalen Finanzdirektoren vereint gegen den Systemwechsel auflehnen werden, ist laut Generalsekretär Peter Mischler noch nicht entschieden.

Text: Iwan Städler / Tagesanzeiger
Bild: SMGV

 
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