Der Berufslehre gehört die Zukunft
Es läuft bei Luna Schaller. Die 20-jährige Gipserin-Trockenbauerin hat im Sommer die Grundbildung mit der zweitbesten Note abgeschlossen. Knapp vier Monate später gewann sie die Schweizer Berufsmeisterschaften SwissSkills. Zudem hat sie den Lehrgang für die Berufsmaturität begonnen.
Schallers Werdegang ist eines der Beispiele, mit denen die «Handelszeitung» die Attraktivität der Berufslehre und die damit verbundenen Karrieremöglichkeiten aufzeigt. Weitere sind Coop-Chef Philipp Wyss (Lehren als Kaufmann und als Metzger), Nils Planzer (vom LKW-Mechaniker zum CEO des gleichnamigen Transportunternehmens) und Barend Fruithof, der CEO des Spezialfahrzeugbauers Aebi Schmidt (Lehre als Bauer).
Rückgrat der Schweizer Wirtschaft
Ehemalige Lernende stellten das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft, hält die «Handelszeitung» fest. Als Vorgesetzte könnten sie mit ihren Mitarbeitenden fachlich auf Augenhöhe sprechen, weil sie ihre Branche von Grund auf kennen. Dies sei ein Vorteil gegenüber den «reinen Theoretikern», die eine gymnasiale Matur gemacht und danach studiert haben. Dazu gehöre, dass Manager und Teamleiter mit einer Berufslehre flexibler auf neue Herausforderungen reagieren können, weil sie es gewohnt sind, sich stetig weiterzubilden und anzupassen
Diese Einsicht setzt sich langsam auch in der Gesellschaft durch. Die «Handelszeitung» zitiert eine Lehrerin: «Heute sind Eltern wieder offener gegenüber einer Berufslehre.» Die Statistik der Abschlüsse auf Sekundarstufe II (Berufslehre und Gymnasium) seit 2022 untermauert diesen Trend. Gemäss den Zahlen des Bundesamts für Statistik ist der Anteil der Berufslehre seit 2005 zwar stetig zurückgegangen, hat sich aber seit 2022 stabilisiert.
Die zunehmende Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) spielt der Berufslehre in die Karten. Zwar fallen dadurch gemäss dem Weltwirtschaftsforum WEF bis 2030 weltweit 92 Millionen Stellen weg, aber es entstehen 170 Millionen neue mit veränderten Berufsprofilen. «Berufe an vorderster Front, darunter Landarbeiter, Auslieferungsfahrer und Bauarbeiter, werden bis 2030 in absoluten Zahlen das grösste Beschäftigungswachstum verzeichnen», heisst es in einem Bericht des WEF.
Wissen in der Praxis
Ein seit langer Zeit fundiert argumentierender Befürworter der Berufslehre ist der ehemalige Nationalrat und Preisüberwacher Rudolf Strahm, der es vom Chemielaboranten über den diplomierten Chemiker bis zum Ökonomen mit Abschluss an der Uni Bern gebracht hat.
Wer eine Berufslehre absolviert habe, könne das gelernte Wissen auch anwenden, sagt er in der «Handelszeitung». Und weiter: «Es sind Leute, die einen Beruf von der Pike auf kennen, aber auch Offerten berechnen, mit Kunden verhandeln oder Auslegungen von Anlagen ermitteln können.» Ausserdem lernten sie während der praktischen Ausbildung, exakt und präzise zu arbeiten.
Viele verlockende Angebote
Ein weiteres Beispiel für diese Erkenntnisse ist der gelernte Maurer Gianluca Giuliano. Er hat sich auf eigene Kosten zum Bauleiter weitergebildet. Das hat sich gelohnt. Bauunternehmen umgarnten ihn heute mit verlockenden Angeboten, heisst es im Artikel, «denn sie wissen: Dieser Mann kann arbeiten und hat Erfahrung».
Zurück zu Luna Schaller und der Berufsmaturität, die gemäss dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) seit ihrer Einführung im Jahr 1993 «ein zentrales Element zur Attraktivitätssteigerung der Berufsbildung» ist, weil sie Praxis und Theorie verbindet. Klar ist, dass dieser Weg härter ist als das Erlangen der Matur in einem Gymnasium, denn er bedingt viel Begeisterungsfähigkeit und Durchhaltewillen.
Architektur ein möglicher Weg
Dass sie diese Eigenschaften aufweist, hat Luna Schaller mit ihrer QV-Note und dem Schweizermeister-Titel bewiesen. Sie werden ihr auch an den Berufs-Weltmeisterschaften WorldSkills 2026 im chinesischen Schanghai helfen. Um für diese trainieren zu können, wird sie den Berufsmaturitäts-Lehrgang nach diesem Semester unterbrechen und wieder im Gipserberuf arbeiten.
Dass sie dann auch nach der Berufsmatur weiterhin als Gipserin tätig sein wird, ist gut möglich. Ihr Handwerk gefällt ihr sehr gut und sie möchte sich auf Stuckaturen spezialisieren. Vielleicht verschlägt es sie aber auch in die Architektur. «Wie es weitergehen soll, weiss ich noch nicht so genau», sagt die Gipserin-Trockenbauerin.
Text: Raphael Briner