Farben bieten Orientierung und Identität
Das Zentrum Hofgarten liege am Rand, im «Niemandsland» zwischen Bellach und Solothurn, einem Ort ohne starke Identität, stellt Jasmin Grego fest. «Deshalb war uns das Thema Identität wichtig.» Sie hat zusammen mit ihrem Team die Innenarchitektur sowie das Farb- und Materialkonzept für das neue Pflegezentrum Hofgarten der Stiftung Fomaso entwickelt.
Das Gebäudeensemble besteht aus einem Pflegeheim vor allem für ältere Personen mit Demenz oder psychiatrischen Erkrankungen sowie einem Wohnturm für Senioren. Es steht auf einer Ecke des sonst noch brachliegenden Bellacher Areals an der Grenze zur Stadt Solothurn. Dieses wird zu einem neuen Quartier entwickelt. Auf zwei Seiten ist das Zentrum Hofgarten von Mehrfamilienhäusern und einer gesichtslosen Gewerbezone umgeben. Da ein Gestaltungsplan besteht, war die Kubatur des Pflegeheims vorgegeben.
Kubatur nicht ideal
Die zwei langen Riegel mit einem Verbindungstrakt seien nicht ideal, sagt Andrea Stampfli von der GSJ Architekten AG in Solothurn, die zusammen mit Grego Architektur in Zürich den Wettbewerb für das Projekt gewonnen hat. Normalerweise plane man für solche Einrichtungen kompakte Baukörper mit «Rundläufen» im Innern. Damit lässt sich verhindern, dass kognitiv eingeschränkte Personen plötzlich nicht mehr weitergehen können. Das ist bei Korridor-Enden der Fall und kann Orientierungslosigkeit bis zu Aggressionen auslösen.
Weil die Riegel vorgegeben waren, war Kreativität gefragt. «Wir wollten keine Korridore mit einer Aufreihung von Zimmern, sondern Räume, die sich zu den Korridoren öffnen», erklärt die Architektin. Kurz: Es galt, einen Spitalcharakter zu vermeiden.
Ebenfalls sehr wichtig war, dass die Bewohner an verschiedenen Orten ausserhalb ihres Zimmers eine Möglichkeit zum Aufenthalt finden. Der Architektin und ihren Mitarbeitenden war während der Besichtigung im Rahmen des Studienauftrages aufgefallen, dass sich in den zwei bestehenden Pflegeheimen der Stiftung Fomaso die Bewohnerinnen und Bewohner oft in den Gängen aufhielten, obwohl diese sehr eng waren. «Im Korridor läuft eben etwas, dort findet das Leben statt», stellt Andrea Stampfli fest.
Zum Verweilen einladen
Die Lösung war, die Zimmer in den sechs Wohngruppen des «Hofgartens» so anzuordnen, dass im Korridor immer wieder grössere und kleinere Nischen entstehen, die mit Stühlen und Sofas möbliert werden können, und zum Verweilen einladen. Dafür entwickelten die Architekten und Innenarchitektinnen drei Zimmertypen mit verschiedenen Grundrissen, die sie in unterschiedlicher Ausrichtung in die drei Stockwerke des Gebäudes einfügten. Bei einem Typ haben zwei Zimmer ein gemeinsames Bad, das die Bewohner über den Korridor erreichen, was eine eigene Art von Nische schafft.
Trockenbau lässt Flexibilität zu
Ausgeführt wurde die Raumaufteilung im Gips-Trockenbau durch die Groupe Egli AG, die teilweise auch Malerarbeiten übernahm. «So sind wir flexibel, wenn sich in Zukunft die räumlichen Anforderungen in Pflegeheimen ändern und vielleicht Wohnungen anstatt Einzelzimmer zweckmässiger sind», erklärt Lukas Kümin, der Geschäftsleiter von GSJ Architekten.
Die architektonisch geschaffenen Nischen ergeben zusammen mit den Küchen-/Esszimmerbereichen und Loggien mit Blick auf den Solothurner Hausberg Weissenstein eine abwechslungsreiche Wohnwelt, in der sich die Bewohner und Bewohnerinnen optimal orientieren können. Um die Sackgasse am Korridorende zu vermeiden, öffnet sich der Gang an dieser Stelle hin zu einem geräumigen Aufenthaltsraum samt Balkon mit wohnlicher Aufenthaltsqualität.
Spannender Parcours
«So entsteht über ein ganzes Geschoss ein spannender Parcours», sagt Jasmin Grego. Sie und Stephanie Kühnle von der Grego Architektur GmbH waren bereits in der Wettbewerbsphase Teil des Planungsteams. Die beiden Architektinnen/Innenarchitektinnen gehen interdisziplinär vor und bezeichnen ihre Arbeit als «Architektur von innen». Für sie sind die Strukturen, die Raumabfolgen, die Dramaturgie und die Proportionen der Räume entscheidend.
Das Farbkonzept unterstützt im Projekt für den «Hofgarten» die räumliche Gestaltung des Gebäudeinnern. «Farbe ist für uns in erster Linie ein Material wie jedes andere auch, mit dem wir Raumwirkungen erzielen können», erklärt Grego. Oder anders gesagt, «ein Werkzeug, mit dem wir einen Raum bearbeiten und Wirkungen sichtbar machen». Dabei sind nicht nur die klassischen Oberflächen des Innenausbaus wie Boden, Wand und Decke von Bedeutung. Auch die Ausstattung wird mit ihrer Farbigkeit und Materialität Teil der atmosphärischen Raumwirkung.
Eine Art WG
Am Anfang stand vom räumlichen Eindruck her die Grundidee, eine grosse Wohnung mit Zimmer, Korridor, Aufenthaltszimmer und Wohnküche einzurichten. Auch wenn die Wohnung nun sehr viele Schlafzimmer hat, ist trotzdem «eine Art WG-Typologie und nicht wie sonst üblich eine Institution mit klar getrennten Räumen und Heimcharakter entstanden», sagt Grego.
Eingeschränkte Farbwahl
In den Wohnbereichen begann die Farbgestaltung mit der Wahl der Linoleumböden. Das brachte zusammen mit den Vorgaben des Budgets gewisse Zwänge mit sich. Die Farben waren nicht frei wählbar, sondern durch das Sortiment der Hersteller vorgegeben. Die Planer entschieden sich gemeinsam mit der Bauherrschaft für Terracotta (Aufenthaltsräume), Grünblau (Küche/Essen), Ocker (Korridor) und Beige (Zimmer).
Der Farbunterschied zwischen Zimmer- und Korridorboden ist dezent. «Die Türen sind meist offen. Durch die Farbwahl greift das Zimmer quasi in den Korridor raus, es hat keine Schwelle», erklärt Innenarchitektin Grego. Auch dahinter steckt die Idee, den Bewohnerinnen und Bewohnern ein «grosszügiges Raumgefühl» zu bieten und ein möglichst ungehindertes Zirkulieren zu ermöglichen. Aus demselben Grund werden Raumgrenzen verwischt und aufgehoben, indem die Bodenfarbe der Aufenthaltsräume ein Stück weit in die Korridore hineinragt. Barrierefrei ist das ganze Gebäude sowieso.
Privat und öffentlich unterscheiden
Bei den fixfertig gelieferten Türen war die Auswahl auf vier Farben eingeschränkt. Die Standardfarben Weiss und Grau wollten die Innenarchitektinnen nicht, also entschieden sie sich für Hellblau und Ockergelb, um Türen zu privaten Zimmern von denjenigen zu unterscheiden, die in öffentliche Räume führen.
Die begrenzte Auswahl der Farben für Türen und Böden wurde Ausgangslage des Farbkonzepts und beeinflusste die Farben für die Wände. Hier waren die Innenarchitektinnen frei, denn die Auswahl an NCS-Farbtönen ist um ein Vielfaches grösser. Wie wählt man die richtigen aus? Die Wirkung und Atmosphäre eines Raumes habe, neben der konstruierten, auch eine emotionale Komponente, erklärt Grego. Diese hängt unter anderem stark davon ab, welche Stimmung im Raum herrschen soll. Ist das entschieden, fällt die Farbwahl mehr oder weniger intuitiv. Grundlagen dafür sind die Erfahrung der Architekten und die Bemusterung seitens der Maler.
Türen wirken wie Fenster
In den Wohnbereichen des «Hofgartens» besteht der grundsätzliche Unterschied zwischen den etwas dunkleren, farbigeren Wänden der Gemeinschaftsbereiche und den helleren, in einem gebrochenen Weiss gestrichenen der Zimmer sowie den gelblich-beigen der Gänge.
Die Türen zu den Zimmern sind mit ihrem Hellblau bewusst abgesetzt von den Wänden. Wenn sie geschlossen sind, wirken sie wie Fenster. «Man sieht zwar nicht hinein, aber es ist der Auftakt zum nächsten Raum», erklärt Jasmin Grego das Prinzip. Auch die Decken der Zimmer sind hellblau. Dadurch entsteht der Eindruck, dass der Raum sich nach oben etwas öffnet, sozusagen dem Himmel entgegen. Gleichzeitig entsteht eine Verbindung zum richtigen Himmel, den die Bewohner dank der grossen Fenster immer sehen können, wodurch er ein Teil des Innenraums wird.
Solche Impulse für die Bewohnerinnen und Bewohner zu setzen, war für das Farbkonzept genauso wichtig wie ihnen eine einfache Orientierung zu ermöglichen. Der «Hofgarten» sei für diese Menschen meist das letzte Zuhause, sagt Jasmin Grego. Der Bewegungsradius wird kleiner, aber er soll nicht weniger belebend und abwechslungsreich sein. «Darum wollen wir den Bewohnern eine möglichst grosse Vielfalt an Raumstimmungen und Anregungen anbieten.»
Ort mit starkem Charakter
Die Farbgebung hebt nicht nur in den Wohn-/Pflegebereichen die Raumtypen voneinander ab. Aus demselben Grund sind die Farben im öffentlichen Teil des Erdgeschosses mit Empfang, Eingangsbereich und Restaurant viel kräftiger gehalten als in den Wohngruppen. Diese Gestaltung (siehe Titelbild dieser Ausgabe) schafft die zu Beginn dieses Artikels erwähnte Identität inmitten des Niemandslands.
«Man soll an einem Ort mit einem starken und spezifischen Charakter ankommen», sagt Grego, einem Ort mit Wiedererkennungswert. Wenn Besucherinnen und Besucher von aussen eintreten, prägen die kräftigen drei Farben Magenta, Ultramarinblau und Petrolgrün den ersten Raumeindruck. Gleichzeitig definieren die Wandbeschriftung und eine Landschaftstapete den Ort eindeutig als «Hofgarten». Empfang und Eingang erinnern mehr an eine Hotellobby als an ein Pflegeheim.
Auffällige Tapete
Eine hohe Aufenthaltsqualität in den öffentlichen Bereichen trägt auch dazu bei, dass sich Angehörige und Externe wohlfühlen und gerne zu Besuch kommen, wie Jasmin Grego erklärt. Auch die Bewohner merken dank des Wechsels von dezenten Farben in ihren Wohngruppen hin zu den kräftigen Farben im Erdgeschoss, dass sie sich nun in den halböffentlichen oder öffentlichen Räumen bewegen.
Das Wandbild, eine Tapete an der langen Wand des Restaurants, stellt eine surreale Landschaft dar, die ein Stadtgarten sein könnte. Die Tapete greift Magenta, Ultramarinblau und Petrolgrün auf und führt so den Farbklang der angrenzenden Eingangshalle weiter. Die Wand trennt das Restaurant zum Mehrzweckraum ab und weist grosse doppelflügelige Verbindungstüren auf.
Eine besondere Herausforderung für die Tapezierer der Malerei-Gipserei Studer AG war es, die Türen der Wand zu kaschieren und die Tapete so zu applizieren, dass das Bildmuster auch dann stimmt, wenn die Türen geöffnet sind. Die Tapete war allgemein und vor allem wegen der Einteilung eine Herausforderung. «Der Druck stimmte nicht ganz mit unseren Annahmen überein», sagt Gilbert Studer.
Deshalb legten die Maler die Bahnen zuerst am Boden aus, zeichneten die Muster an die Wand und fotografierten das Ganze. So konnten sie während des Tapezierens überprüfen, ob noch alles stimmt. Sehr knifflig war es, die Tapeten rund um die Türen so genau zu verlegen, dass die Bäume exakt passen. Es ist gelungen, der «Stadtgarten» hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Anforderungen und verwendete Produkte
Die Anforderung an die Wandfarben war Nassabriebklasse 1 nach DIN EN 13300. Üblicherweise kommen bei einer solchen Anforderung sogenannte Latex-Farben zum Einsatz. Diese besitzen jedoch keinen absolut matten Glanzgrad, wie er von der Planung gefordert war. Zudem musste die Farbe den Anforderungen nach Minergie-Eco entsprechen, das auf die Umwelt-Etikette der Schweizer Stiftung Farbe referenziert. Die Wahl fiel auf ein Produkt von Dold:
- Tuchmatte Wohnraumfarbe Living Art weiss, Bunttöne Trend Art, Kategorie B der Umwelt-Etikette.
Die Innenwände sind im Leichtbausystem von Knauf erstellt. Die Gipser versahen die Diamantplatten mit einem Grundputz und einem Abrieb 1,0 mm, damit Schlagstellen und Kratzer besser ausgebessert werden können. Den Anstrich brachten die Maler mit dem Roller auf.
Für die Böden in den Kellerräumen waren die Anforderungen eine hohe Belastbarkeit und Reinigungsfähigkeit und wiederum Minergie-Eco. Zum Einsatz kam daher von Dold:
- PUR-Floorline Aqua, 2-komponentiges Polyurethansystem.
Text: Raphael Briner
Bilder: Simon von Gunten
Fotograf Simon von Gunten arbeitet freischaffend in Solothurn.