Die Kunst, Holz aufzuwerten
Malerinnen und Maler sind die Kreativen am Bau. Diese Kreativität lässt sich beim Beizen besonders gut ausleben. Denn Beizflüssigkeiten und ihre Anwendung bieten ein riesiges Experimentierfeld. Allerdings wird dieses Kreativpotenzial heute viel zu wenig ausgereizt. «Früher gehörte das Beizen genau wie die Schriftenmalerei zur Malerausbildung», weiss David Keist, Maler und dipl. Farbgestalter HF. Jeder, der zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren eine Malerausbildung absolviert habe, sei zumindest in Berührung mit der «Päcklibeize» gekommen, die nur mit Wasser oder Alkohol angerührt werden musste. Wirklich kreativ war das natürlich nicht, auch wenn die Päckli bis zu einem gewissen Grad untereinander gemischt werden konnten.
Seit den 1980er-Jahren sei das Beizen immer mehr Teil von Spezialausbildungen geworden, sagt Keist, und in den Meisterausbildungen hätten wirtschaftliche gegenüber handwerklichen Themen die Oberhand gewonnen. Der gebürtige Liestaler bedauert diese Entwicklung – denn traditionelle Techniken wie das Beizen seien heute mit Themen wie dem Bauen im Bestand und Trends wie der materialsichtigen Architektur wieder gefragt.

Aus preiswert mach kostbar
«Mit Beiztechniken lassen sich kostengünstige Materialien optisch aufwerten», sagt Keist. So kann zum Beispiel aus Fichte für das Auge Palisander werden, ohne dass man für eines der kostbarsten Hölzer der Welt tief in die Tasche greifen muss. Eine vermeintlich langweilige Buche wird mit einem Schuss roter Beize plötzlich nobilitiert, und sogar kostengünstigste MDF-Platten lassen sich so mit Beize behandeln, dass kaum mehr zu sehen ist, um welchen Träger es sich handelt. Diese Aufwertung einfacher Holzarten oder Werkstoffe stehe auch historisch gesehen am Anfang der Entwicklung der Beiztechnik, erklärt Keist. Denn in früheren Zeiten seien Edelhölzer nicht so einfach zu beschaffen gewesen wie heute, vom immensen finanziellen Aufwand ganz zu schweigen. Auf den optischen Luxus exotischer Holzarten verzichten wollte man jedoch auch nicht.
Drei Ebenen
Was das Beizen von vielen anderen Techniken zur Oberflächenbehandlung unterscheidet, ist, dass die Beize zwar die Farbigkeit des Materials verändert, dabei jedoch nicht dessen Struktur überdeckt. So entsteht der Eindruck eines eingefärbten Materials, nicht jener einer gestrichenen Oberfläche.
«Man kann es sich anhand dreier Ebenen vorstellen», sagt Keist, der als Spezialist für Handwerk und Material am Haus der Farbe in Zürich arbeitet und seine Neugierde rund ums experimentelle Erforschen von Gestaltungs- und Anwendungstechniken im Malerhandwerk an die Studierenden weitergibt. «Es gibt die natürliche Farbigkeit des Holzes, dann das Holz mit Einfärbung und schliesslich das gestrichene Holz, wo die Holzstrukturen weitgehend überdeckt sind.» Da jede Holzart anders auf Beizen reagiert und jede Beize andere Reaktionen hervorruft, ergeben sich für die mittlere Farbebene schier unendliche Gestaltungsmöglichkeiten.
Ein wenig Alchemie
Allerdings: Fachleute, die profundes Wissen um Beiztechniken haben, sind rar gesät. Das liegt zum einen daran, dass erfahrene Experten ihre selbst zusammengestellten Beizen ähnlich wie mittelalterliche Alchemisten ihre Rezepte hüten. David Keist kannte jemanden, dessen Flaschen lediglich mit Nummern versehen waren. Dass die genauen Rezepturen nicht dokumentiert wurden, versteht sich fast schon von selbst.
«Ich verstehe schon, dass man auf diese Weise einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz hat», zeigt Keist Verständnis. Aber das helfe der Technik an sich und ihrer Dokumentation und Weiterführung nicht. Diese Verschlossenheit und die Einführung industrieller Produkte führten dazu, dass mit der Zeit viel wertvolles Wissen verloren ging – und heute mühsam wieder aufgearbeitet werden muss.
Das Feuer entfachen
David Keist: «Deswegen sage ich: raus mit dem Wissen!» Dennoch – oder gerade deswegen – lohnt es sich für Berufsleute aus dem Malergewerbe, sich auf das Beizen zu spezialisieren. Man müsse allerdings bereit sein, den Blick über Fertigprodukte hinaus zu weiten und sich in das Thema hineinzuknien. «Es braucht ein Feuer, das entfacht werden muss», beschreibt Keist den Antrieb, den auch er hat.
Nötig sei auch der Wille, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und auch einmal schwere Kost wie «Das Farbenbuch» von Stefan Muntwyler, Juraj Lipscher und Hanspeter Schneider durchzuarbeiten, das Pigmente und Farbstoffe analysiert und beschreibt. «Das Werk sollte in der Malerausbildung eigentlich sowieso Standard sein», sagt Keist mit einem verschmitzten Lächeln und einem Augenzwinkern.

Enorme Möglichkeiten
Der Lohn für diese Mühen ist einerseits eine schier endlose Palette an Gestaltungsmöglichkeiten. Anderseits kann man mit «Expertenwissen» glänzen. Ein Beispiel dafür liefert David Keist gleich selbst: «Dass wir heute von Blaumachen sprechen, hat seinen Ursprung in der Textilfärberei, so etwas wie das Äquivalent zum Holzbeizen.»
Damals legte man die Textilien am Sonntag zum Einweichen in die Küpe, nahm sie am Montag heraus und liess sie dann an der Luft trocknen. Die Farbe reagierte mit der Luft und wurde blau, während die Färber nichts tun konnten als warten. Es sind Geschichten wie diese, die Fachleuten eine besondere Beziehung zum Handwerk verschaffen – und den Beruf zur Berufung werden lassen
Haus der Farbe
Das Haus der Farbe vereint unter seinem Dach eine Schule und ein Institut für Gestaltung in Handwerk und Architektur. Es steht für die Verbindung von Experiment und tradierten Werten und arbeitet in der Weiterbildung eng mit dem SMGV zusammen.
Die drei Bildungsgänge Farbgestaltung in der Architektur (HF), Gestaltung im Handwerk (BP/HFP) und der Vorkurs Dekorationsmaler/in richten sich an leidenschaftliche Berufsleute. Die Bildungsgänge fördern das gegenseitige Verständnis von Handwerkerinnen und Handwerkern, Architektinnen und Architekten sowie Behörden. Ein vielfältiges Kursprogramm rundet das Angebot ab.
Das Institut forscht, dokumentiert und berät zu Themen wie Farb- und Handwerkskultur, historische Farbgebung und Architekturoberflächen. Die Sammlung «AO Architekturoberflächen» steht Interessierten auf Anfrage jederzeit offen. /
Haus der Farbe
Fachschule und Institut für Gestaltung in Handwerk und Architektur
Thurgauerstrasse 60
8050 Zürich
044 493 40 93
info@hausderfarbe.ch
hausderfarbe.ch
Ausgezeichnete Arbeit
Die private Küche von David Keist und seiner Partnerin ist unlängst mit dem Prix Lignum ausgezeichnet worden.
«Ater Culina»
Schreinerarbeiten: Merk Raumgestaltung
Beratung und Malerarbeiten: Wrkstadt Architektur & Handwerk
Die vertiefte Auseinandersetzung mit traditionellen Handwerkstechniken wie dem Beizen kann zu nationaler Beachtung führen. So geschehen im Fall des Projekts «Ater Culina», der privaten Küche von David Keist und seiner Partnerin Silja Kornacher in Volketswil ZH.
Die Küche entstand 2022 aus einer Kooperation von David Keists Unternehmen Wrkstadt Architektur & Handwerk und Merk Raumgestaltung. Die Küche besteht aus Naturstein, Fichte und Schwarzstahl, wobei die Holzelemente schwarz gebeizt wurden. «Die Inspiration war die alte Küche des Hauses, deren Atmosphäre wir in die neue Küche mit einfliessen lassen wollten», erzählt Keist.
Aus Russ wurde Beize
Auf der Suche nach Küchenrelikten wurde er im Kamin fündig. Er kratzte den Russ ab und verarbeitete ihn mit Spiritus zu Flammrussbeize. Das gebeizte Holz wurde abschliessend mit Marseiller Seife poliert «Ziel war es, mit möglichst geringem finanziellem Einsatz eine möglichst einzigartige Küche zu kreieren», erklärt Keist. Mit dem gebeizten Vierkant-Fichtenholz gelang es, zeitgenössisches Design mit der Küchenvergangenheit sowie Holz mit Schwarzstahl zu einer Einheit zu verbinden. Denn alles, was im Kamin verbrannt wurde, ist in Spuren Teil der neuen Küche geworden.
Die Arbeit der beiden Unternehmen beeindruckte auch die Jury des Prix Lignum – so sehr,
dass sie «Ater Culina» Bronze auf nationaler Ebene verlieh. Neben vielem anderen wurde in der Begründung auch die Beize hervorgehoben: «Die schwarze Farbe aus Russpartikeln im Schornstein symbolisiert den Brückenschlag zwischen damals und heute.» Für David Keist sendet die Auszeichnung eine Botschaft: Es kommt nicht auf die Grösse von Projekten an, um traditionellem Handwerk die Beachtung zu verschaffen, die es verdient.
Die Wahl der Beize
Die Möglichkeiten, mit Beizen zu arbeiten, sind schier endlos. Zwei weitere Beispiele.

«Zum Gelbhorn»
Architekt: Benedikt Zweifel Architekt
Schreinerarbeiten: Merk Raumgestaltung
Beratung und Malerarbeiten: Wrkstadt Architektur & Handwerk
Bei Sanierungsarbeiten im Badener Bäderquartier erhielt das Gasthaus «Zum Gelbhorn», auch bekannt als «Hörnli», eine neue Schaufensterpartie basierend auf einer Darstellung von 1911. Die dafür verwendete Eiche, dekoriert mit Werkzeugspuren einer zeitgenössischen CNC-Fräsetechnik, sollte nicht nur geölt werden. «Das hätte sie leuchtend goldig werden lassen», sagt David Keist. Stattdessen wurde das Holz «vergast», also mit einer chemischen Beize auf Ammoniakbasis leicht vergraut und optisch gealtert. Als Nebeneffekt spaltet und blockiert die Behandlung den grossen Anteil an Gerbsäuren in der Eiche und verhindert so das Ausbluten auf den darunter liegenden Natursteinsockel.

«Rank»
Architekten: Gasser Derungs Architekten
Farbgestaltung: Eva Leuba
Beratung und Malerarbeiten: Wrkstadt Architektur & Handwerk
Im Kulturlokal Rank im Zürcher Niederdorf diente die Historie im wahrsten Sinn des Worts als Blaupause für das Farbkonzept. Weil das Gastroteam die Geschichte des Jazz in der Limmatstadt wieder aufgreifen wollte, wurde die Farbgebung an das Blau von Jeans angelehnt, der Hose, die für die Arbeiterklasse ebenso wichtig war wie für die Musikszene. Die entsprechende Beize entstand mit Indigo aus heimischer Färberwaid, Glycerin, Honig und Sumpfkalk. Ausgehend vom blauen Mobiliar wurde schliesslich der Farbton für den gesamten Gastrobereich verwendet.
Text: Erik Brühlmann
Bilder: zVg