Die Allgemeinverbindlichkeit des GAV ist existenziell
Ko-Gastgeberin Sandra Sollberger, ihres Zeichens Malermeisterin und Nationalrätin, eröffnete den Anlass wie gewohnt. Sie begrüsste ihre Kolleginnen und Kollegen im Namen des Verbands und stellte ein Werkzeug aus dem Malerhandwerk vor.
Diesmal handelte es sich um ein elektronisches Gerät zur Bestimmung von Farbtönen. Damit zeigte Sollberger, dass das Maler- und das Gipsergewerbe entgegen gewisser Meinungen modern und digital sind.
In ihren einleitenden Worten bedankte sich die SMGV-Direktorin Silvia Fleury bei den Anwesenden, dass diese im Parlament die Motion «Lehrbetriebe entlasten» unterstützt haben, die Sollberger nach dem letzten Parlamentarieranlass eingereicht hatte.
Nur dank Ausnahmeregelung
Fleury erklärte, welche Quoren erfüllt sein müssen, damit der Gesamtarbeitsvertrag vom Bundesrat für allgemeinverbindlich erklärt wird: 1. Mindestens 50 Prozent der Maler- und Gipserbetriebe im Verbandsgebiet sind Mitglied des SMGV. 2. Mindestens 50 Prozent der Arbeitnehmenden sind Mitglied einer Gewerkschaft. 3. Mindestens 50 Prozent der Arbeitnehmenden sind bei Verbandsmitglieder angestellt. Momentan erfüllen das Maler- und das Gipsergewerbe nur 1 und 3. Deshalb gilt eine Ausnahmeregelung, wie dies auch in anderen Branchen der Fall ist.
Die Allgemeinverbindlicherklärung des Gesamtarbeitsvertrages (AVE-GAV) ist in den Augen des SMGV aus zwei Gründen wichtig. Einerseits ermöglicht er die Kontrolle auch derjenigen Betriebe, die ihren Sitz im Ausland haben und hierzulande tätig sind. Anderseits gibt es auch unseriöse Schweizer Unternehmen. Diese können, wenn sie nicht Verbandsmitglied sind, mit einem AVE-GAV kontrolliert werden.
Martin Klossner legte als erster von zwei Unternehmrern seine Sicht der Dinge dar. Der Gipserunternehmer aus Burdorf BE, der einst Mitglied des SMGV-Zentralvorstands war, befürchtet, dass mit einem Wegfall der Allgemeinverbindlichkeit «halblegale und illegale Geschäftspraktiken» zunehmen würden. Dies aufgrund fehlender Kontrollen von Arbeitszeitbestimmungen und Sockellöhnen.
Eine Herkulesaufgabe
«Seriöse Firmen mit hoher Sozialkompetenz gegenüber ihren Mitarbeitern hätten je länger je weniger gleich lange Spiesse, um preislich mitzuhalten», sagte Klossner. Und: Das Ausbilden von Lernenden, das Engagement für den Beruf in Politik und Verband oder das Einhalten von sozialen Arbeits- und Lohnbedingungen würden ohne AVE-GAV zur Herkulesaufgabe.
Der zweite Unternehmer, der zum Thema sprach, war Peter Ziebold, bestens bekannt als ehemaliger Präsident des Zürcher Malermeister-Verbandes und Präsident der Verhandlungsdelegation, die jeweils mit den Sozialpartnern den GAV aushandelt.
Bestens bewährtes Werk
Er bezeichnete den GAV als «Werk, das sich über viele Jahrzehnte bestens bewährt hat und hoffentlich auch weiterhin Bestand haben wird». Die Folgen eines Wegfalls des AVE-GAV seien ein allgemeines Sinken der Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und fachlichen Kompetenz der Handwerksunternehmen. Zudem würde es damit zu Lohn- und Sozialabbau sowie zu einer Verschärfung der Nachwuchsprobleme kommen. Alle diese Faktoren zusammen führten dazu, dass sich das angeschlagene Image des Handwerks weiter verschlechtern würde und es definitiv keinen Nachwuchs an guten Fachleuten mehr gäbe.
Zusammengefasst: Ein AVE-GAV hält den Arbeitsfrieden aufrecht, stärkt das Handwerk und fördert dessen Ansehen in der Gesellschaft. «Das lohnt sich nicht nur für die Mitarbeitenden und die Betriebe, sondern sorgt auch für den Wohlstand in der Schweiz.»
Bevor Mario Freda, der Zentralpräsident des SMGV, zu seinen abschliessenden Bemerkungen über sinnvolle Anpassungen des Quorums anheben konnte, entspann sich eine rege Diskussion. Diese drehte sich unter anderem darum, ob die Probleme mit unseriösen Unternehmen nicht besser mit einer Einschränkung der Personenfreizügigkeit anstatt mit einem GAV verkleinert werden könnten und ob die Arbeitnehmerverbände den Gewerkschaften in den GAV-Verhandlungen zu weit entgegenkommen.
Zweifelhafte Statistik
Erörtert wurde auch der seltsam anmutende Umstand, dass zwar nach offizieller Statistik rund 9 Prozent der Gipser arbeitslos sind, die Unternehmen aber trotzdem händeringend nach Fachkräften suchen. Freda erklärte, dass in der Arbeitslosenstatistik allerlei Personen als Gipser erfasst werden, die eigentlich gar keine sind. Ein Beispiel: Wer drei Monate in einem Gipsergeschäft gearbeitet habe, gelte gemäss Statistik als Gipser oder Gipserin, egal ob eine Ausbildung vorhanden sei oder nicht.
Dann kam der Zentralpräsident doch noch dazu, kurz die Lösungvorschläge des SMGV für eine den Realitäten angepasste Quorums-Regelung für die Allgemeinverbindlicherklärung zu präsentieren. Anstatt dass für das Arbeitgeberquorum jeder Betrieb unabhängig von der Anzahl Mitarbeitender gleich stark gewichtet wird, sollte diese Zahl berücksichtig werden. Ein Betrieb mit nur einer Angestellten bekäme zum Beispiel einen Punkt, während ein Betrieb mit fünf Mitarbeitenden entsprechend mit fünf Punkten gezählt würde.
Eine Variante ist es, nur Betriebe zu zählen, die seit mehr als einem Jahr erfolgreich am Markt tätig sind. «Wir beobachten, dass viele Unternehmen heute schnell gegründet werden und ebenso schnell wieder schliessen», sagte Freda.
Unterstützung nötig
Die Herausforderung betrifft übrigens nicht nur das Maler- und das Gipsergewerbe, sondern das ganze Ausbaugewerbe mit insgesamt etwa 19000 Betrieben, rund 160000 Mitarbeitenden, 30000 Lernenden und einem Gesamtumsatz von zirka 36 Milliarden Franken.
Es müsse selbstverständlich geprüft werden, ob und wie diese Vorschläge rechtlich umgesetzt werden könnten, erklärte Mario Freda. «Ihre Unterstützung in diesem Prozess ist für uns von grosser Bedeutung und wir danken Ihnen herzlich für Ihr Engagement», gab er den Parlamentarierinnen und Parlamentariern mit auf den Weg zurück ins Bundeshaus.
Text und Bilder: Raphael Briner